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Stealth – meine Gedanken dazu

Als ich nochmal über unsere Beiträge geschaut habe, ist mir aufgefallen dass sie sich alle um den Anfang der Transition drehen. Aber was ist mit dem Ende? Klar kann man argumentieren, dass es nie zu Ende ist… dass immer neue Anstrengungen unternommen werden müssen und man es eigentlich nie hinter sich hat. In gewissem Sinne ist das auch richtig. Dennoch gibt es einen Zeitpunkt (oder ein Zeitkontinuum), ab dem man das Gröbste hinter sich hat. Irgendwann hat man alle OP machen lassen, die man braucht, alle Dokumente ändern lassen und ist irgendwie angekommen. Was kommt also dann? Für mich dreht es sich ab diesem Punkt um den Begriff „stealth leben“.

Eigentlich gibt es schon viele Texte zu dem Thema, wenn auch wenige auf Deutsch. Ich möchte in meinem Beitrag vieles von dem Zusammenfassen was ich auf meiner Recherche gelesen habe und auch meine eigenen Gedanken beisteuern. Und ich würde auch euch gerne einladen das per Kommentar oder in unserem Forum zu tun!

Was bedeutet „stealth“?

Für die, die es noch nicht so genau wissen, „stealth“ bedeutet getarnt, dass die Umgebung nicht weiss, dass man trans ist und einen behandelt, als ob man cis wäre. Das erste was mir aufgefallen ist, ist dass der Begriff keinen absoluten Zustand beschreibt. „Stealth“ an sich bedeutet nichts, wenn es nicht in einem bestimmten Kontext steht, also in welcher Umgebung wir stealth sind. Wenn ich durch München laufe oder in der U-Bahn sitze, dann bin ich stealth. Wenn ich im Familienkreis sitze und Kuchen futtere, dann bin ich nicht stealth (außer alle leiden an Demenz). Entscheidend ist in wie vielen „Umgebungsarten“ wir stealth leben. Wenn man es bis zum Äußersten treibt, nennst sich das „deep stealth“. Niemand, nicht mal Freunde und Partner, wissen davon.

Ich habe einige Geschichten dazu gelesen, die mich zum Teil nachdenklich gemacht haben, zum Teil auch erschüttert haben. In diesem Text zum Beispiel (http://www.tsroadmap.com/early/carol.html) beschreibt eine transsexuelle Frau, die seit über 40 Jahren stealth lebt, von ihren Erlebnissen. Der Preis war wohl hoch – sie hat den Kontakt zu ihrer Familie und ihren Freunden abgebrochen und ihre Mutter seit dem nie wieder gesehen oder mit ihr gesprochen.

Gründe dafür, stealth zu gehen

Welche Gründe gibt es, das alles zu tun? In früheren Zeiten und leider noch heute in vielen Ländern ganz einfach aus Angst. Angst vor Verfolgung, Gewalt und sozialem Abstieg. Als in den USA vor 60 Jahren die Transition möglich wurde, wurde den Patienten angeraten stealth zu gehen, das alte Leben komplett zu beerdigen und sich sich was Plausibles als Fake-Vergangenheit auszudenken. Sicher hatten die Therapeuten nur das Beste für ihre Patienten im Sinn. Die Alternative, also offen dazu stehen trans zu sein, erschien ihnen wohl zu unangenehm.

Aber es gibt auch andere Gründe: Ein sehr starker Motivator ist Scham. Einige schämen sich so sehr dafür trans zu sein, dass sie es am liebsten komplett verschweigen würden. Selbst wenn man in einem freiheitlichen und toleraten Land lebt, gibt es keine Garantie dafür nicht ausgegrenzt oder verlassen zu werden. Nicht alle Menschen kommen damit klar.

Andere wiederum möchten einen Schlusstrich ziehen und sich nicht durch etwas definieren lassen, was sie gar nicht definiert. Das Leben zu führen, das uns eigentlich zugestanden hätte und wir nur durch einen äußerst geschmacklosen Witz des Universums verloren haben. Selbst wenn negative Reaktionen der Umwelt selten sind, benehmen sich viele Menschen merkwürdig, fühlen sich unwohl und behandeln uns einfach anders. Irgendwann geht einem die Lust und Kraft aus, sich noch länger damit auseinenanderzusetzen.

Es gibt auch einige, die sich nicht dafür schämen transsexuell zu sein, sondern sich für andere Menschen mit dem transsexuellen Syndrom und der ganzen LGBT-Bewegung schämen. Nicht jedem gefällt das Politische und das Auftreten. Wenn man mit LGBT und queer partout nicht klar kommt, wird stealth gehen, also sich zu distanzieren, zu einer reellen Option.

Die Gründe sind also vielfältig und vor allem dauerhaft. Es ist nichts, wofür man sich leichtfertig entscheidet, und vor allem ist es eine Entscheidung fürs ganze Leben (oder zumindest einen langen Lebensabschnitt). Denn der Preis kann hoch sein: Je nach dem wie weit man gehen will, muss man sein bisheriges Leben hinter sich lassen. Das kann auch nahestehende Personen einschließen. Und das bedeutet auch, dass man für sich eine neue Vergangenheit erfinden  und diese Geschichte auch durchgehend aufrecht erhalten muss. Also nicht nur seine Vergangenheit (mit allen schlechten Seiten aber auch allen positiven) verleugnen sondern sogar eine – wenn man es ganz extrem sieht – Lüge zu erzählen. Und diese Geschichte auch noch konsistent beizubehalten und sich nie „verplappern“. Oft wird das mit einem Geheimagenten verglichen, und ich denke das kommt der Wahrheit ziemlich nahe. Die Angst vor Entdeckung kann einem (wenn man viel verschweigt) die Freude am Leben nehmen.

Wie steht es mit den Erfolgsaussichten?

Meine bisherigen Zeilen drehten sich um das Warum. Wie stehen dann die Aussichten, dass man stealth leben kann und es auch erfolgreich tut? Da steht an allererster Stelle – leider – das Aussehen. Leider deshalb, weil es nunmal gar nicht um die inneren Werte geht und es auch nur bedingt etwas ist, dass man beeinflussen kann. Entweder man hat passing, oder eben nicht. Und es reicht auch nicht „meistens zu passen“ oder auch „fast immer zu passen“. Sondern eben zu 100%. Stimmoperationen und FFS können dabei helfen, aber Körpergröße oder Schuhgröße lassen sich nicht verändern. Sie sind nicht unbedingt eindeutige Signale, können aber Vermutungen aufkommen lassen. Je mehr „verräterische“ Merkmale man hat, desto schwieriger kann es sein.

Wichtig ist auch die eigenen Motivation. Vielleicht etwas subjektiv, aber ich glaube dass Furcht vor Diskriminierung problematisch als Motivation ist. Weil man durch die Umwelt zu diesem Schritt gezwungen wird und in Angst vor Entdeckung lebt. Ich denke nicht, dass eine so gefährliche und intolerante Umgebung ganz allgemein ein wünschenswertes Umfeld ist. Es sollten vielmehr innere Gründe sein: Stealth gehen weil man es will und für sich braucht, nicht weil man muss.

Dann das Alter – damit meine ich nicht unbedingt den Einfluss aufs passing, auch wenn das natürlich eine Rolle spielt. Vielmehr, dass man je älter beim Übergang ist, umso mehr Vergangenheit hinter sich lässt. Mehr Lebenszeit, über die man lügen muss, mehr Menschen, die einen von früher kennen. Manchmal sogar Ehepartner und Kinder. Dann kann es schwierig werden, besonders weil man diese Menschen zurücklassen muss.

Fazit

Ich möchte mit diesem Beitrag keinen Rat geben oder so etwas. Es geht darum ob man diesen letzten Schritt für sich braucht und ihn gehen will, aber nicht dass man es tun muss. Wie alle anderen Schritte in der Transition ist das die eigene Entscheidung. Höchstens ein Rat: Vorausschauend handeln. Selbst wenn es anfangs noch nicht so aussieht dass man stealth gehen will, sollte man sich diesen Schritt nicht prinzipiell verbauen. Denn Outen kann man sich später immer noch, ein Outing zurücknehmen geht dagegen nie mehr. Deshalb würde ich nur raten, „den Kopf unten zu halten“, wenn man stealth als Option behalten möchte. Nicht unbedingt still zu sein, aber eben nicht zu laut zu seiner TS stehen, sondern leise sein.

Vorschaubild: Pixabay (unter CC0-Lizenz)

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